Nur Natur: Auf dem Lieserpfad durch die Vulkaneifel

Der lieblichste Wanderweg der Eifel führt parallel zur Lieser durch dichte Mischwälder und vorbei an alten Burgen. Das Beste: Mit ein bisschen Glück hat man den „Wilden Westen Deutschlands“ ganz für sich allein!

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Das Wanderwegenetz der Eifel ist formidabel, findet wanderlust-Redakteurin Carolin Müller. Es beruht historisch auf den Grundlagen eines in Jahrzehnten gewachsenen Wandernetzwerks.
© Jennifer Schattling

Text: Carolin Müller

Ist das noch meine Eifel?“, denke ich, und leise Enttäuschung macht sich breit: Meine Tour startet doch tatsächlich auf nacktem Asphaltweg! Asphaltierte Wanderwege? Hier? Ausgeschlossen! Als gebürtige Eifelerin hatte ich in den hiesigen Wäldern meine Wanderleidenschaft entdeckt und kultiviert. So hatte es mich in Jugendtagen immer wieder zum Zelten und Wandern nach Stadtkyll gezogen. Meinen ersten Freund lud ich damals zu einer Wanderung auf den Monschauer Eifelsteig ein. Die Erkenntnis, zunächst nicht die altbekannte, urwüchsige Eifel vorzufinden, trifft mich nun wie ein Schlag in die Magengrube. Zum Glück schmeiße ich nicht hin und betrete nach ein paar hundert Metern – gefühlten tausend – dichten Buchenmischwald, den Lieserpfad im Visier. Der schönste Wanderweg, den die Eifel zu bieten hat (davon bin ich heute überzeugt), ist Teil des Hauptwanderwegs 3 des Eifelvereins in der Vulkaneifel. Dieser Hauptwanderweg, auch als Erft-Lieser-Weg bekannt, verläuft über 138 Kilometer von meiner Heimatstadt Euskirchen bis zum Dorf Lieser an der Mosel. Das urigste Stück dieses Pfades befindet sich zwischen Daun und Manderscheid (Oberer Lieserpfad) und Manderscheid und Wittlich (Unterer Lieserpfad), mit einer Gesamtlänge von 40 Kilometern. Da ich einige Pausen einlegen will, entschied ich mich im Vorfeld für ein Mittelstück von knapp 10 Kilometern Länge.

Auf diesem Teil gibt es nichts als Wald. Lediglich ein schmaler Pfad schlängelt sich zwischen den Bäumen hindurch. Unter der Woche sind sogar nur eine Handvoll Wanderer unterwegs. Man sieht kein einziges Wohnhaus zwischen den Bäumen aufblitzen, dafür säumen unzählige Hütten den Wegesrand. Andererseits kenne ich keinen einzigen Ort auf der Welt, wo Hütten, die Gelegenheit zur Aussicht geben, so nötig sind wie auf dem Lieserpfad. Immer wieder bieten sich herrliche Ausblicke, wobei die Burgen landschaftlich gesehen Oberhand haben. Zu den prächtigsten gehört die Oberburg, die, wie der Name schon sagt, auf einer Bergkuppe hoch über der Lieser thront. Etwas später entstand die Niederburg, die sich über einzelne Terrassen den Hang hinaufzieht. Lange Zeit waren sich die Herrscher der Burgen spinnefeind: Die Oberburg stand in der Gewalt des Kurfürstentums Trier, während die Niederburg zum Herzogtum Luxemburg gehörte. Im Mittelalter war das eine denkbar unglückliche Konstellation, deshalb waren Jahrhunderte andauernde, blutige Kämpfe an der Tagesordnung. Heute ist die ­Ruine der Oberburg im Besitz der Gemeinde Manderscheid und frei zugänglich. Die ­Ruine der Niederburg befindet sich seit 1899 im ­Besitz des Eifelvereins und wird von diesem langsam, aber kontinuierlich restauriert. Eine Besichtigung ist möglich und lohnenswert, im Sommer ist diese ­sogar täglich möglich.

Nachdem ich inmitten dichtesten Waldes Eicheln wie zu Kindertagen aufgeklaubt habe und mich dabei auf angenehme Weise idiotisch fühlen durfte, betrete ich die Robertskanzel – nach über einer Stunde losgelösten Wanderns und mit den Burgen im Rücken. Selbst in Zeiten wildester Erwartungshaltungen gibt es Momente, in denen sich die Landschaft, das Licht und die eigenen Emotionen perfekt ergänzen: Dank des Nieselregens hat sich ein heller, nass glänzender Mantel über die Baumkronen gelegt, der im roten Glanz des Herbstes schillert. Ein paar verlorene Nebelschwaden hängen über dem Tal, was die Umgebung sanft, wie mit Milch übergossen, aussehen lässt. Jawohl, auch hierzulande ist „Indian Summer“ – man muss nur in unseren Wilden Westen 50 Kilometer südlich von Köln reisen.

Jede Kurve offenbart jetzt einen neuen, unberührten Ausblick, und dort, wo er besonders schön ist, hat man eine Schutzhütte hingebaut. Nichts Aufwendiges, sondern scheinbar zusammen­gezimmert aus Material, das dem Mischwald entnommen und mit Sicherheit problemlos rückführbar ist. Auf einer ebenso schlichten Holzbrücke überquere ich später die Lieser, als es allmählich dämmert und die Farbpalette sich verändert: Abgesehen von dem gesprenkelten Braun der Erde und schmalen, verwitterten Holzbänken wird alles von einem Grau eingeholt, das aber nicht beängstigend wirkt, sondern den Feierabend nach einer herrlichen Wanderung einläutet. Man kann es nicht anders sagen: In einigen wenigen Landschaften, meist in den unberührten, herrscht ein anderer Geist. Ich war bisher nur im Sommer zum Wandern in der Eifel gewesen, und so staune ich über meine Entdeckung.

Eine andere Entdeckung, für die ich meine Heimat schätze: Seit der Gründung des Nationalparks Eifel führen Rangerinnen und Ranger auf Wanderungen durch das Großschutzgebiet. Ein Teil dieser kostenlosen Führungen wird seit 2007 für gehörlose, schwer­hörige und hörende Menschen mit gebärdensprachlicher ­Begleitung des ­Gehörlosenheims Euskirchen angeboten. Dieser engagierte Einsatz wurde im vergangenen Juni zu Recht mit der Auszeichnung als UN-Dekade-Projekt Biologische Vielfalt gewürdigt (www.nationalpark-eifel.de).

Paradies: Gesucht und gefunden!

Eines der weniger bekannten Werke von Edgar Allan Poe ist „Das Gut zu Arnheim“. Darin ist der Protagonist der Überzeugung, dass die menschliche Vorstellungskraft immer über die Wirklichkeit triumphieren werde – „Man findet in der Wirklichkeit keine Paradiese, wie sie auf der Leinwand erstrahlen“. Also will er einen Ort ausfindig machen, den er bis zur Perfektion verbessern kann. Im Laufe der Geschichte wird jedoch klar, dass es einen solchen Ort bereits gibt – das Gut Arnheim eröffnet sich ihm wie das Gemälde eines begnadeten Künstlers. Während ich von der Rulandhütte ins stille Liesertal hinuntersehe, stelle ich mir vor, wie ein bedeutender Landschaftsmaler diesen Anblick zwar mit seinem Pinsel festhalten, ihn aber nicht besser malen könnte. In der Eifel habe ich mein persönliches Gut Arnheim gefunden.

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Genießerpause auf der Rulandhütte – mit Blick auf das bewaldete Tal der Lieser.
© Jennifer Schattling

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Dieser Artikel ist aus der Ausgabe: wanderlust Nr. 06 / 2014

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