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Lesedauer 6 Min.

Held der Berge

Der einzige Mann, der die heiligen Berge Bhutans besteigen darf, ist Phuntsho Tshering – Bhutans erster qualifizierter Gletscherforscher. Wir haben mit ihm über seine Arbeit gesprochen, mit der er Leben rettet.
Drohnenblick auf das Schloss Allstedt
© Bhutan Department of Tourism

Wo sind Sie aufgewachsen und welche Bedeutung haben die Berge für Sie?

Ich bin im abgelegenen Dorf Phongmey im Osten Bhutans aufgewachsen. Bereits als Kind hat mir meine Mutter viel von der Heiligkeit der Berge erzählt. Meine Eltern waren Bauern, und unser Leben war eng mit den rauen, aber eben auch atemberaubenden Landschaften verwoben, die uns hier umgeben. Die Berge waren für mich nicht nur physische Riesen, sondern auch Hüter von zahllosen Mythen und Legenden, die ihre Geheimnisse und Geschichten über den heulenden Wind zu uns trugen. Diese Faszination war es, die letztlich meinen Weg ebnete, Bhutans erster qualifizierter Glaziologe zu werden. Ich hatte dann die Gelegenheit, in Japan über Gletscher zu studieren. Doch im Laufe der Jahre haben mich meine Erfahrungen in unseren Bergen mehr  gelehrt, als es je irgendeine Schule oder irgendein Studium hätte vermitteln können.

 

Welche Gefahr lauert in den Bergen, auf die Sie durch Ihre Arbeit verweisen?

Die nördlichste Region Bhutans ist eine sehr natürliche Wildnis, die weitgehend vom Menschen unberührt geblieben ist. Zwischen ihren schneebedeckten Gipfeln und stillen Gletscherseen lauert jedoch eine ganz bedeutende Bedrohung: Gletscherseeausbrüche (GLOFs/Glacial lake outburst flood). In Bhutan gibt es mehr als 500 Gletscherseen, von denen einige durch das beschleunigte Abschmelzen der Gletscher infolge des Klimawandels ein erhebliches Risiko darstellen.

 

Wie lange ist es her, dass es hier zu schwerwiegenden Ereignissen kam?

Das letzte größere GLOF-Ereignis ereignete sich im Oktober 1994, als ein teilweiser Ausbruch eines Gletschersees verheerende Überschwemmungen flussabwärts verursachte, bei denen tragischerweise 25 Menschen ihr Leben verloren. Heute hat sich die Gefahr eines solchen Ereignisses allerdings sogar noch verschärft. Sollte es heute zu einem Gletscherseeausbruch kommen, könnte dieser dreimal so schwerwiegend sein wie der aus dem Jahr 1994.

 

Blick auf eine Brücke aus dem 20. Jahrhundert

Seit 1994 ist das Bergsteigen auf Bergen oberhalb von 6000 Höhenmetern vom bhutanischen Staat gesetzlich verboten, da die  einheimische Bevölkerung die Berggipfel als Wohnstätte von Geistern und Göttern ansieht.

©  Bhutan Department of Tourism

Was lässt sich dagegen tun und worin besteht genau Ihre Aufgabe als Gletscherspezialist?

Meine Aufgabe als Glaziologe besteht darin, diese Gletscher zu überwachen, Frühwarnsysteme entlang der Flüsse flussabwärts zu installieren und Sicherheits- bzw. Evakuierungszonen einzurichten. Das erfordert umfangreiche Wanderungen in die entlegensten und rauesten Ecken unseres Landes. Diese Wanderungen sind keine bloßen Spaziergänge; sie sind Expeditionen in das Herz unserer sich verändernden Umwelt. Jede Trekkingtour ist eine Erkundung von Gletschern, die schneller zurückweichen als erwartet, ein Wettlauf gegen die Zeit, um potenzielle Risiken zu kartieren und präventive Maßnahmen zu entwickeln.

 

Welche Folgen hätte ein Ausbruch heute?

Trotz der Schönheit unserer Umgebung sind die Herausforderungen meiner Arbeit enorm. Die Auswirkungen des Klimawandels sind unbestreitbar, selbst in Bhutan, das für seinen CO₂-negativen Status und seine strengen Umweltpolitik bekannt ist. Unser Engagement für den Schutz der Umwelt kann uns natürlich nicht vollständig vor den Auswirkungen der globalen Erwärmung schützen. Während die Gletscher in einem beispiellosen Tempo schmelzen, droht die Gefahr von GLOFs mit potenziell verheerenden Folgen für unsere ländlichen Gemeinden. Die Täler flussabwärts könnten weggespült werden, Wasserkraftprojekte könnten gefährdet sein, und die einzigartige Biodiversität der Region könnte irreversiblen Schaden nehmen.

 

 

Zwei Wanderer auf einem Wanderweg im Grünen

"Die Dringlichkeit unserer Mission ist ein ständiger Antrieb, und ich erfahre auch sehr viel Wertschätzung."

© Bhutan Department of Tourism

Wie präsent ist das Thema Gletscherschmelze und Klimawandel bei der Bevölkerung?

Eine der harten Realitäten meiner Arbeit ist das mitunter begrenzte Bewusstsein der Landbevölkerung über den Klimawandel und seine potenziellen Auswirkungen. Viele der Menschen, die in diesen abgelegenen Gebieten leben, sind sich der drohenden Gefahren, die von den Gletschern in ihrer Umgebung ausgehen, nicht wirklich bewusst. Es herrscht also eine  Kluft zwischen dem globalen Verständnis des Klimawandels und dem lokalen Bewusstsein hier vor Ort. Dieser große Unterschied in der Wahrnehmung stellt eine zusätzliche Komplexität meiner Arbeit dar.

 

Ihre Arbeit nimmt viel Zeit in Anspruch. Wie wirkt sich das auf Ihr Leben aus?

Mein Engagement für diese Sache geht oft auf persönliche Kosten. Ich bin über längere Zeiträume von meiner Familie getrennt, wandere durch raue Bedingungen und beschäftige mich intensiv mit den Herausforderungen unserer sich rasch verändernden Umwelt. Meine Frau und meine beiden Töchter, Yangchen und Lhazin, kümmern sich um den Haushalt, wenn ich unterwegs bin. Die Gesundheit meiner Frau bereitet mir oft Sorgen, und ich mache mir Gedanken über ihr Wohlbefinden. Meine  Töchter übernehmen während meiner Abwesenheit dann  zusätzliche Verantwortung. Die emotionale Belastung, von ihnen getrennt zu sein, ist für mich immens, aber ich werde von dem Wissen angetrieben, dass meine Arbeit für die Zukunft Bhutans und somit für uns alle entscheidend ist.

 

Eine Höhle mit einem Unterwassersee

"Die Berge waren für mich nicht nur physische Riesen, sondern auch Hüter von zahllosen Mythen und Legenden, die ihre Geheimnisse und Geschichten über den heulenden Wind zu uns trugen."

© Bhutan Department of Tourism

Sie sind der einzige Mensch, der die Berge ab einer gewissen Höhe besteigen darf...

Manchmal fühlt sich diese Aufgabe undankbar an. Die Bedrohung durch GLOFs und die breiteren Auswirkungen des Klimawandels sind schwer zu vermitteln, besonders für diejenigen, die diese Veränderungen nicht aus erster Hand erlebt haben. Mir als jemandem, der in die Berge und Seen steigt, wird oft gesagt, dass ich die Gegend entweihe. Ich werde aber jeden Tag daran erinnert, warum diese Arbeit das Opfer wert ist. Die Dringlichkeit unserer Mission ist ein ständiger Antrieb, und ich erfahre auch sehr viel Wertschätzung. Es geht nicht nur darum, die Schönheit unserer Berge zu bewahren, sondern auch darum, das Leben und die Lebensgrundlagen derjenigen zu schützen, die diese abgelegenen Gebiete ihre Heimat nennen.

 

Worum drehen sich Ihre Gedanken, wenn Sie in den Bergen sind, was ist Ihre Hoffnung?

Angesichts dieser gewaltigen Herausforderungen finde ich Kraft in der Hoffnung, dass unsere Bemühungen dazu beitragen werden, die Auswirkungen zukünftiger Gletscherseeausbrüche zu mildern. Während ich zwischen den Gletschern wandere, trage ich die Geschichten meiner Heimat, die Lektionen aus meiner Kindheit und das unerschütterliche Engagement mit mir, das Land zu schützen, das ich liebe. Für Bhutan und für meine Familie ist dies eine Reise, die sich lohnt, egal, wie mühsam sie ist. .

 

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Eine Höhle mit einem Unterwassersee

"Zwischen ihren schneebedeckten Gipfeln und stillen Gletscherseen lauert jedoch eine ganz bedeutende Bedrohung."

© Bhutan Department of Tourism

Zur Person

Phunto Tshering

Seit 1994 ist das Bergsteigen auf Bergen oberhalb von 6000 Höhenmetern vom bhutanischen Staat gesetzlich verboten, da die 

einheimische Bevölkerung die Berggipfel als Wohnstätte von Geistern und Göttern ansieht. Der einzige Mann, der diese Berge besteigen darf, ist Phuntsho Tshering – Bhutans erster qualifizierter Gletscherforscher. Studiert hat er in Japan, im Laufe der Jahre hat ihn aber seine Erfahrung in den Bergen Bhutans mehr gelehrt als alles andere. Seine Aufgabe ist es, anhand verschiedener Maßnahmen Gletscherseeausbrüche zu erkennen und zu verhindern. Wir haben mit ihm über seine wichtige Arbeit gesprochen.

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