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Annette Bernjus im Gespräch

Wald, so weit das Auge reicht. Unmittelbar davor liegen die lichtdurchfluteten Seminarräume von Annette. Sie steht in der Tür und winkt mir strahlend entgegen. Unsere letzte Waldbaden-Wanderung ist lange her. Ich bin glücklich, wieder hier zu sein.
Annette Bernjus
©

Daniel Elke

Wir sitzen in deinem Forum für Waldbaden. Was passiert hier?

Ich gebe hier wöchentlich Seminare. Meine Themen drehen sich alle um Eintauchen und Wahrnehmen des Waldes. Ich biete mittlerweile Trauerbegleitung mit Waldbaden an. Mit dem Thema Demenz und Naturaufenthalten beschäftige ich mich ja schon eine ganze Weile. Neu dabei ist der Bereich ganzheitliches Augen- und Sehtraining in der Natur. Ein sehr gefragter Bereich. Die Menschen suchen Ruhe für alle Sinne, auch und vor allem für die Augen. Das trainiere ich mit ihnen. Der Wald ist dafür perfekt geeignet. Wir schauen zu viel auf Monitore. In einigen asiatischen Ländern haben 95 Prozent der Kinder durch den ständigen Blick auf Smartphone oder Laptop inzwischen eine Kurzsichtigkeit.

Was ist dein Lieblingswald?

Mein Lieblingswald liegt direkt vor der Tür: der Gründenhang hier im Taunus. Er hat sich stark verändert, seit ich mit euch von der wanderlust vor einigen Jahren hier schon einmal eingetaucht bin. Ursprünglich eine Fichtenlandschaft, die man betrat wie einen Tunnel. Die Fichten wurden gefällt. Hier hergehört haben sie ja streng genommen auch nicht. Jetzt befindet sich der Wald im Wandel. Es ist spannend zu beobachten, was passiert. Es kommen Weiden und Birken nach. Ich hoffe, dass der Förster nicht eingreift und ihn in seiner Vielfalt wachsen lässt.

Leben wir zu hektisch?

Wir werden nicht selten von zu vielen Dingen getrieben. Von der Arbeit, von Mitmenschen, vielleicht sogar von unseren eigenen Wünschen und Sehnsüchten. Es fällt uns schwer, Dinge bewusster, achtsamer und weniger schnell zu tun. Ich habe neulich auf einem Wanderblog gelesen, wie jemand das Waldbaden ausprobierte. Die Dame kam dann auf einer Lichtung an, auf der sie gern verweilt hätte und bereit war, ihre Sinne der Natur zu öffnen. Dann fiel ihr ein, dass sie noch zehn Kilometer wandern musste, und sie lief weiter. Da hatte jemand nicht verstanden, worum es beim Waldbaden geht.

Sollten wir also nur noch ganz kurze Strecken wandern?

Es ist ganz wunderbar, lange Strecken durchzuwandern, keine Frage. Ein Ziel vor Augen zu haben und das auch zu erreichen oder zu erwandern kann uns pushen und befreien. Aber zum wirklichen Runterkommen kann und darf es eben auch mal ein Kilometer die Stunde sein. Das fällt Menschen unwahrscheinlich schwer. Gar nichts tun ist gar nicht so einfach.

Was verstehst du unter „Waldbaden“?

Kurz gesagt: ein Ankommen in der Natur statt eines Hindurchlaufens. Wenn ich ankomme, kann ich bleiben, mich hinsetzen und „Langeweile“ auf eine erfüllende Weise spüren.

Annette Bernjus mit wanderlust-Chefredakteur David Vinzentz.
© Daniel Elke

Du bist Naturpädagogin. Wie wichtig ist Natur für Kinder?

Sehr wichtig. Sie ist wunderbar dafür geeignet, den Entdeckergeist zu wecken. Kinder sind in der Regel aber auch absolut begeisterungsfähig. Das erlebe ich sehr deutlich. Natürlich herrscht da mehr Action als beim Waldbaden. Das ist auch gut so. Um so tragischer ist es, dass es tendenziell immer weniger Ausflüge von Schulen in die Natur gibt. Aber diese Wissbegier findet sich auch bei alten Menschen wieder.

Inwiefern?

Ich gehe auch viel mit Senioren in den Wald. Es ist häufig so, dass man ihnen den Wunsch nach lebenslangem Lernen deutlich anmerkt. Sie gehen wirklich gerne in die Natur, um etwas zu lernen. Hier ist es allerdings dann wirklich eher Wissensvermittlung als Waldbaden.

Wie verlaufen Waldaufenthalte mit Dementen?

Ich mache das gerne mit demjenigen, der betreut, beziehungsweise dem Angehörigen, plus dem Menschen, der dement ist. Ich schlendere mit ihnen ganz entspannt in den Wald. Danach ist es ein bisschen wie ein Überraschungsei. Es beginnt ein individuelles Einstellen auf die Person. Es kommen fast immer schöne Erinnerungen und eben auch Wissen hoch, und sei es das Kraut, von dem sie wissen, dass man damit Husten lindern kann. Für die Angehörigen ist es gut zu erkennen, dass man außer bürokratischen oder finanziellen Themen auch gemeinsam noch schöne Dinge erleben kann.

Kannst du über deine Seminare sensibilisieren, wie wichtig und wertvoll der Wald für uns ist?

Das spielt für viele meiner Seminarteilnehmer eine wichtige Rolle. Sie sorgen sich um den Waldzustand, fragen sich mitunter, ob sie den Wald überhaupt noch nutzen sollten. Natürlich haben wir hier ein Problem. Wenn man gleich hier oben von einer freien Fläche in den Buchenwald eintaucht, merkt man, wie angenehm kühl es dort wegen des schützenden Baumkronendaches ist. Ich schicke sie aber auch mal in einen Kahlschlag und zeige ihnen die ganzen kleinen Pflänzchen, die neu wachsen. Die Natur versucht, sich selbst zu regulieren und zu erneuern. Wichtig ist es, dass wir lernen, Wälder stärker sich selbst zu überlassen, weil dadurch wieder Leben in die Wälder kommt. Klar ist, dass wir den Wald mehr schützen müssen. Es geht nicht darum, keine Forstwirtschaft mehr zu betreiben. Aber man muss einfach ein Bewusstsein dafür stärken, wo sich an Holz sparen lässt. Man muss nicht jede Mail ausdrucken, und man muss noch nicht mal jede Mail schreiben.

Über Annette Bernjus

Annette Bernjus gehört mit ihrer Kolumne „Bewusst-Sein“ seit Ausgabe 5/2023 fest zum wanderlust-Team. Sie arbeitet als Natur- und Erlebnispädagogin, Meditationslehrerin sowie Achtsamkeitstrainerin und ist passionierte Lehrerin für Taijiquan. In Hofheim-Lorsbach leitet sie das „Forum für Waldbaden und Naturerleben“ und bildet seit vielen Jahren Kursleiter für Waldbaden sowie Natur- und Umweltpädagogen aus.

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