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Zu Gast auf Deutschlands längster Hängebrücke

Deutschlands längste Hängebrücke schwebt seit diesem Sommer über dem Willinger Strycktal. Bis zur Eröffnung war es eine schwere Geburt, doch nun verspricht sie allen Besuchern, luftig und leicht rüberzukommen.
Hängebrücke über dem Willinger Strycktal.
©

Beate Wand

Am 30. Juni standen bei Arndt Brüne aus Willingen zwei wichtige Termine im Kalender. Beide hatten mit Babys zu tun. Das eine war – nicht ungewöhnlich – neun Monate unterwegs. Das andere brauchte deutlich länger: sieben Jahre. Was dabei herauskam, war weder klein noch niedlich. 665 Meter lang, stahlhart und doch wankelmütig. Manche würden es als herausfordernd, schwindelerregend oder gar furchteinflößend beschreiben, andere eher als spannend, abenteuerlich, verlockend.

Touristisches Highlight mit Startschwierigkeiten

Deutschlands längste Hängebrücke baumelt zwar schon eine Weile im Licht der Welt, sie wuchs ja nicht im Verborgenen heran. Das bekamen die Menschen aus der Umgebung auch zu spüren: Wochenlang hingen dicke Ketten um die Bauzäune, die fünf Wege durch das Strycktal versperrten. „Das war ein Schnitt durch den Mittelpunkt des Wandergebiets“, sagt Arndt Brüne, einer der Geschäftsführenden des neuen Skywalks im Sauerland, „alles dicht, das Café unten, die Pressestelle des Skiclubs.“ Es waren notwendige Sicherheitsmaßnahme, als eine Schweizer Firma tonnenschwere Seile vom Mühlenkopf durch die Luft zum Musenberg zog.

Von der Idee bis zur fertigen Brücke – das war ein langwieriger Reifeprozess, der immer wieder Komplikationen durchlitt. Selbst als das 4,5 Millionen Euro teure Bauwerk schon in den vier Tragseilen hing, jedes davon so schwer wie 14 Kleinwagen, lagen noch nicht alle Genehmigungen auf dem Tisch. Schrauben und andere Bauteile mussten erst geprüft werden – deren Schweizer Zulassung galt nicht in der EU. „Wir haben uns wirklich sieben Jahre durchgekämpft, ohne dass wir Ahnung hatten“, sagt Brüne. Mit wir meint der Willinger Gastronom das fünfköpfige Team, in dem einer diplomatisch mit Behörden kommuniziert, die anderen die Werbetrommel rühren, rechnen oder Steuerparagrafen beherrschen. Nach vielen Hürden flutschte es am Ende: Jemand drückte den Stempel unter die letzte Genehmigung. Wie bei einer echten Geburt musste jetzt alles ganz schnell gehen, sehr spontan folgte die Eröffnung.

Eine überraschende Begegnung

Als die Ersten über die Brücke schritten, hatten sie zuvor nicht etwa ein Band vor applaudierendem Publikum durchgeschnitten oder an irgendeinem Bauteil eine Sektflasche zerschellen lassen. Nein, viel simpler: Ticket im Internet gekauft, auf den Musenberg zum einsameren Brückenende gewandert, einfach mal vor den Automaten gehalten. Zwei kurze Piepse, zweimal öffnet sich die Tür. Was sie nicht wussten: Mitgeschäftsführer Ulrich Keudel hatte das System gerade erst scharfgestellt, prüfte es noch auf der anderen Seite, bevor es zur Einweihung auf den Skywalk ging. Sichtlich verdattert traf Keudel die Unbekannten mitten auf der Brücke. „Die haben sich tierisch gefreut, dass sie die Allerersten waren“, sagt er und ärgert sich: „Ich hatte nicht mal Blumen in der Hand!“

Jetzt sitzt Keudel oberhalb des Brückenkopfs in einem Container und tippt etwas in den Computer. Sein rotes Shirt und das graue Basecap zieren das Skywalk-Logo. „Momentan ist immer einer von der Geschäftsführung vor Ort, um zu lernen, welche Probleme auftreten. Etwa, wenn das Licht so aufs Handy fällt, dass der QR-Code nicht richtig funktioniert. Aber eigentlich kann sich diese Brücke weitgehend selbst administrieren“, sagt er. Ziel sei, im November vom Sofa aus die Anlage zu öffnen und zu schließen. 24 Kameras zeigen ihm, was auf der Brücke passiert, ein Live-Score, wie viele Menschen gerade drauf sind. Bei 750 wäre Schluss. „Da waren wir noch nicht annähernd dran“, sagt Keudel, „es verteilt sich, über die Tage und auch auf der Brücke. Selbst bei 400 Leuten gleichzeitig wirkt es nicht unangenehm voll.“ So flexibel und nachgiebig der Skywalk auch ist, sein Sicherheitskonzept ist starr: Droht ein Gewitter, müssen binnen fünf Minuten alle – im Höchstfall 750 – die schwankenden Planken der Seilquerung verlassen.

Ausblick auf mehrere Häuser und grüne Berglandschaft.
© Beate Wand

Emotionen in schwindelnder Höhe

Keudel schaut aus der Tür des Containers herunter, beobachtet die Menschen, bevor sie das Drehkreuz anschieben und von der Brücke treten. „Ich erlebe so viele, die sich selbst applaudieren, die Hände in die Höhe strecken oder ihren Partner umarmen, weil sie sich so sehr freuen, dass sie es geschafft haben“, sagt er, „für viele ist das Konfrontationstherapie gegen die Angst vor großer Höhe. Schätzungsweise zwanzig Prozent krallen sich unterwegs an den Handlauf.“

Ein Zittern erfasst den Körper, macht fast schwindelig. Dabei laufen die ersten Meter noch dicht über Waldboden. „Sie würde jetzt gerne schwanken, aber sie kann nicht. Weil sie hier fest ist, wackelt sie seitlich. Das hört nach zwanzig Metern auf“, beruhigt Keudel. Die knapp siebzig Meter längere tschechische Brücke, die Willingen um den „Weltmeistertitel“ bringt, sei auf der ganzen Länge abgespannt. Mit einem selbstironischen Lachen schiebt er nach: „Bei uns gibt es also doch die längste frei hängende Hängebrücke der Welt – Sternchen, Sternchen: ohne Abspannseile.“

Ein Spaziergang mit ungewohnter Perspektive

Es geht steil abwärts – die zwölf Prozent Steigung an beiden Enden treiben sogar manch Furchtlosen Schweiß auf die Stirn. Entgegenkommende Gesichter blicken mal starr nach vorn, mal lächelnd in die Selfiekamera des hochgehaltenen Handys. Zweige von Buchen und Fichten wedeln anfangs noch vor dem Geländer, dann entfernen sich die Wipfel zunehmend vom Lochgitter unter den Füßen. Der Blick wird freier, saust zwischen Maschendraht-Fangnetz und den sieben Zentimeter dicken Tragseilen über das Strycktal. Rechts schieben sich Rothaargebirgs-Höhen ineinander, links weitet sich das Tal mit seinen dunklen Schieferdächern.

Nun schwingt sie hoch und runter, es kribbelt im Bauch. „Hoffentlich habt ihr lange Sachen dabei, in der Mitte der Brücke zieht es ordentlich!“, kündigt Keudel an und behält recht: Der Wind pfeift, kühlt die nackte Haut an den Armen schnell aus. 155 Stundenkilometer, also Orkan über Windstärke 13, halte die Hängebrücke aus, auch mit einem halben Meter Schnee drauf, erzählt Keudel. Beim Blick über das Geländer zieht es vom Rücken in den Po. Da ist viel Luft! Hundert Meter tiefer die Itter, Spielzeugautos, ein Miniatur-Kletterpark. Doch das Schönste kommt erst noch: wenn das Willinger Viadukt auftaucht. In elf Bögen spannt sich die Brücke der Uplandbahn über die Itter. „Das ist meine Lieblingsecke“, sagt Arndt Brüne, „das gab es vorher nicht, diese Perspektive.“

Viele Personen auf der Hängebrücke in Willingen.
© Beate Wand

Kulinarische Belohnung für die schwindelfreien Wanderer

Auf dem Musenberg angekommen, kehren manche gleich wieder um, andere wandern von dort. Zur aussichtsreichen Graf Stolberg Hütte, wo Arnd Brüne möglichst regionale Produkte und Wild aus umliegenden Wäldern auftischt, sind es etwa drei Kilometer. Auch ein Streifzug durch die Hochheide im Naturschutzgebiet Kahle Pön bei Usseln lohnt sich. Das Gute: Zurück auf dem Musenberg gilt das Skywalk-Ticket am gleichen Tag noch für den Rückweg.

Vom Parkplatz unterhalb steigen etwa 770 Stufen an Tribüne und Mühlenkopfschanze hinauf. Weniger atemraubend ist die Fahrt mit der Standseilbahn der Weltcup-Skisprungarena. Die vorhandene Infrastruktur sprach dafür, den Skywalk hier zu bauen. Damit verbraucht er möglichst wenig Fläche. Zum Ausgleich hängen Brüne und Co. Nistkästen für Hohltauben auf, säen aus: Lupine für Eichhörnchen, darüber eine Weide für Schmetterlinge, noch höher locken demnächst passende Blüten heimische Wildbienen.

Zwei Babys für den Chef

An der Willinger Besucherinfo beginnen mehrere Wanderwege, auch ins Strycktal. Der große Parkplatz an den Ettelsberg-Bahnen bietet sich an, um gar nicht erst in das enge Tal hineinzufahren. Kabinen und Sessel gondeln zum Hochheideturm am Speichersee auf den Ettelsberg, ein schöner Weg kurvt durch die Hochheide knapp 300 Meter höher. Es gibt also mehrere Möglichkeiten, um wandernd zur Hängebrücke zu kommen, dem einen Baby von Arndt Brüne.

Und das „echte“ Baby? Sohn Kian hatte wohl einen Blick in Papas Terminkalender geworfen und sich erst zwei Tage später auf den Weg gemacht. Er wird etwas länger als die Brücke brauchen, bis er läuft. Doch wenn es so weit ist, dann vermutlich gleich über den Skywalk! Dort wäre er nicht der Einzige auf wackeligen Beinen.

Infos / Wandern

Planen

Skywalk Willingen: www.skywalk-willingen.de

Schanzenführung und Standseilbahn: www.weltcup-willingen.de

Wandertipps

Vom Bahnhof führt mit dem Willinger W1 – Paradies und Weltcupschanze ein Qualitätsweg vom Besucherzentrum (10 Minuten Fußweg vom Bahnhof) zum Skywalk (Rundweg, gut 10 km).

Von „Siggis Hütte“ an der Bergstation der Ettelsberg-Bahn verbindet der Rundweg Skywalk/Schanze-Ettelsberg zur Hängebrücke (4 km).

Der Rundweg Blick-ins-Land Kahle Pön läuft als Qualitätsweg und Rothaarsteig-Spur von der Graf Stolberg Hütte (3 km ab Brückenkopf Musenberg) in die Hochheide (Rundweg 7,7 km).

Als Weitwanderwege kommen Sauerland-Höhenflug (sauerland-hoehenflug.de) und der um Willingen kreisende Uplandsteig dem Skywalk nahe.

www.willingen.de/wandern

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